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69. FIDE Kongress

vom 3. bis 12. Oktober 1998 in Elista / Kalmückien

Bericht des Präsidenten des Deutschen Schachbundes Egon Ditt


Im Vorfeld der Schacholympiade und des FIDE-Kongresses war bezweifelt worden, ob die Vorbereitungen in Elista die Durchführung der Veranstaltungen erlauben würden. Das kleine Kalmückien, westlich der Wolgamündung am Kaspischen Meer gelegen, ist nach westlichen Vorstellungen ein armes Land ohne die Infrastruktur, die für eine solche Großveranstaltung mit schätzungsweise 1.400 Teilnehmern unerläßlich ist. Wie sich zeigte, waren die ehrgeizigen Bauvorhaben nur zum Teil vollendet. Der Flughafen hatte eine neue Landebahn bekommen, die größeren Flugzeugen am Tage Start und Landung erlaubte, dazu ein erweitertes Abfertigungsgebäude. Das Hotel für die Kongreßteilnehmer war teilweise renoviert worden (leider erhielten diese Zimmer die FIDE-Funktionäre gratis, während die selbst einen Tagessatz von 100 US $ zahlenden Delegierten nicht renovierte Räume erhielten, die diesen Preis keineswegs wert waren).

Im Osten der Stadt war eine neue und architektonisch gelungene Schachstadt mit einer Spielhalle und Häusern für die Mannschaften entstanden, die allerdings durch die Wirtschaftskrise in Rußland nicht rechtzeitig fertig geworden war. In einem dramatischen Endspurt gelang es den Sponsoren der Mannschaften (jede angereiste Mannschaft hatte eine Firma aus Elista als Betreuer), die Quartiere mit eigenen Kräften fertigzustellen und einzurichten. Die Spielhalle war durch konzentrierten Einsatz von Handwerkern zur ersten Runde spielfähig, nachdem die Runde zwei Tage verschoben wurde, und danach wuchs sie täglich um weitere fertiggestellte Räume an. Überall spürten wir das Bemühen, der Veranstaltung zum Erfolg zu verhelfen und den Gästen aus aller Welt ein guter Gastgeber zu sein.

Uns beeindruckten die freundlichen Menschen in Kalmückien, die sichtlich stolz auf die Schacholympiade mit Gästen aus fernen Ländern waren.

Einen Tag vor meiner Abreise nach Elista erhielt ich ein Schreiben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, deutsche Sektion, mit der Aufforderung, aus Protest gegen den Machtmißbrauch des kalmückischen Präsidenten Iljumzhinov unsere Mannschaften zurückzuziehen. In Elista suchte mich eine Journalistin der ARD auf, damit ich vor der Kamera die Frage beantwortete, weshalb der Deutsche Schachbund die Veranstaltung nicht boykottiere. Unabhängig davon, daß auf dem FIDE-Kongreß deutsche Interessen zu vertreten waren und unsere Mannschaften sich sorgfältig auf die Teilnahme an dem Wettkampf vorbereitet hatten, fehlt mir bisher jeder Nachweis zu den Vorwürfen. Auch in Elista selbst gewannen wir nicht einen solchen Eindruck.

Nach einigen Erfahrungen in der Vergangenheit ist das Mittel des Boykotts einer Sportveranstaltung fraglich; um ihn auch nur zu erwägen, bedarf es aber in jedem Falle klarer Fakten. Im Kongreß sprach Bachar Kouatly als Delegierter von Monaco im Zusammenhang mit den Wahlen den Mord an der Journalistin Larissa Yudina an und die Spuren, die angeblich in die Nähe des Präsidenten wiesen. Präsident Iljumzhinov entgegnete darauf sehr sachlich: (sinngemäß:) Er wies auf die noch ausstehende Gerichtsverhandlung hin und lud Kouatly ein, die Verhandlung zu verfolgen und sich ein objektives Bild zu machen. Es gäbe eine solche Verbindung zu ihm nicht, und das werde sich vor Gericht bestätigen. Die Beschuldigungen seien Teil einer politischen Kampagne gegen ihn; die FIDE solle solche Angriffe aber nicht mit ihren sportlichen Aufgaben verquicken.

Anzumerken ist, daß in der Kontinentalversammlung Europa von 53 nationalen Verbänden in Europa 52 in Elista vertreten waren, es fehlte einzig Weißrußland.

Unseren Mannschaften und ihren Kapitänen Bundestrainer Uwe Bönsch und Raj Tischbierek gebührt Dank und Anerkennung für den engagierten Einsatz und das respektable Auftreten. Ich will an dieser Stelle keine sportliche Wertung vornehmen, diese bleibt anderen vorbehalten. Ich freue mich aber, daß unsere Herren mit dem geteilten 5. Platz den größten Olympiaerfolg seit Jahren erreicht haben und daß es bei den Damen neben guten Einzelergebnissen für Ketino Kachiani Gersinska und Anke Koglin zumindest eine Perspektive für die Zukunft gibt.

Hier sind einige der Kongreßergebnisse von allgemeinen Interesse:

1. Weltmeisterschaft der Herren

Die FIDE hat sich wieder einmal durch ihr wenig professionelles Vorgehen erhebliche Schwierigkeiten eingehandelt, so daß kaum absehbar ist, wie es mit der Weltmeisterschaft der Herren weitergehen soll. Hatte noch der 68. FIDE-Kongreß in Kishinev die KO-Weltmeisterschaft in einem Zweijahreszyklus beschlossen, überraschte der Präsident den Exekutivrat am 15. Mai 1998 in Bled mit der Ankündigung, die Weltmeisterschaft künftig jährlich auszutragen, 1998 in Las Vegas. Ich habe damals darauf hingewiesen, daß die Statuten der FIDE eine solche Änderung nur der Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit ermöglichen. Übersehen wurde von der FIDE, daß die abgeschlossenen Spielerverträge eine Bindung auch für die FIDE erzeugen, denn sie nahmen das gesamte Regelwerk und damit auch den Zweijahreszyklus in Bezug, worauf sich jetzt Weltmeister Karpov berief.

Nach umfangreichen Verhandlungen wurde im Kongreß ein positives Ergebnis bekanntgegeben: Weltmeister Karpov hat am 8. Oktober ein Dokument unterzeichnet, er wird mitspielen und in die zweite Runde eingeteilt, die Veranstaltung wird in den Januar 1999 verschoben. Die Generalversammlung beschloß danach ohne Widerspruch die Änderung zu einer jährlichen Austragung.

Die Freude darüber währte aber nicht lange: Hermann Hamers machte seitens der Niederlande darauf aufmerksam, daß die FIDE im Zusammenhang mit der Ausrichtung der Kandidatenwettkämpfe einen Vertrag mit dem Veranstalter in Wijk aan Zee abgeschlossen hat, der ihr bis 1999 untersagt, im Januar Weltmeisterschaftsausscheidungen anzusetzen. Als am letzten Kongreßtag die Ausrichter aus Las Vegas ihre Planung vorstellten, war ihre Verärgerung nicht zu übersehen; sie waren nicht konsultiert worden und erfuhren von der Verschiebung erst nach ihrer Ankunft in Elista. Im Hinblick auf diesen Scherbenhaufen konnte der Stellvertretende Präsident Makropoulos für den FIDE-Vorstand nur die Erklärung abgeben, daß die FIDE versuchen werde, im Kontakt mit allen Beteiligten eine Lösung zu finden.

2. Weltmeisterschaft der Damen

Auf andere Weise verworren ist auch der Stand bei der Weltmeisterschaft der Damen. Zuletzt hatte die Zweite des Kandidatenturniers Xie Jun aus China die Endausscheidung des Kandidatenturniers durch Nichtantreten der Siegerin Alisa Galliamova aus Rußland gewonnen und damit das Recht erworben, den Wettkampf um die Weltmeisterschaft mit der Titelverteidigerin Zsuzsa Polgar aus Ungarn zu bestreiten. Die Generalversammlung bestätigte das und nahm einen russischen Protest nicht auf. Im Hinblick auf die Möglichkeit, daß Zsuzsa Polgar, die kaum noch aktiv gespielt hat, ihren Titel nicht verteidigt, wurde Alisa Galliamova als Ersatz nominiert (ein Vorschlag aus Ungarn, in diesem Fall die ELO-stärkste Frau Judit Polgar einzubeziehen, wurde nicht aufgenommen). Die Lösung fand einmütige Unterstützung, um eine mögliche Vergabe des Titels durch zwei kampflose Entscheidungen zu vermeiden. Die chinesische Delegation hat allerdings noch nicht zugestimmt; sie bekundete, den Vorschlag noch einmal im Verband erörtern zu wollen. Für die folgende Weltmeisterschaft der Damen wurde das KO-System mit 64 Teilnehmerinnen bei einem Preisfonds in Höhe von 500.000 US $ neu eingeführt.

3. Europa-Mannschaftsmeisterschaft

England hat die Vergabe für Juli 1999 zurückgegeben, nachdem die Kosten für die Teilnehmer nicht akzeptiert wurden. Neue Angebote sollen bis zum 30. November vorgelegt werden.

4. Andere Veranstaltungen

a) Sitzungen

b) Schachliche Veranstaltungen

5. Wahlen FIDE

Für die Wahlen lag nur ein Vorschlag vor, der durch Akklamation angenommen wurde:

Der Präsident nutzte sein Recht, zwei weitere Vizepräsidenten zu nominieren:

Dem Vorstand gehören zusätzlich die in den Kontinentalversammlungen gewählten Kontinentalpräsidenten an:

Der Präsident führte einen neuen Ehrentitel "Ehren-Vizepräsident" ein und vergab diesen Titel an die ausgeschiedenen Mitglieder des Vorstands:

Bei der Einsetzung der Vorsitzenden der Fachausschüsse wurden zwei deutsche Nominierungen berücksichtigt:

6. Wahlen Europa

Die Europäer führten zwei Kontinentalversammlungen durch, um neben den Wahlen auch eingehend die europäische Schachentwicklung zu besprechen. Dabei zeigte sich wieder einmal der neue Geist einer europäischen Zusammenarbeit, wie er schon in den Sitzungen der letzten Jahre sichtbar geworden war. 52 der 53 Mitgliedsverbände waren vertreten, einzig Weißrußland fehlte.

Für die Wahl des Kontinentalpräsidenten gab es drei Kandidaten. Zwei Wahlgänge waren nötig.

  Kandidat                            1. Wahlgang  2. Wahlgang
  Boris Kutin, Slowenien                       25           31
  Javier Ochoa de Echagüen Estibález, Spanien  16           20
  Kurt Jungwirth, Österreich                   10

Als Schatzmeister wurde ich ohne Gegenkandidat (Israel Gelfer zog seine Kandidatur zurück) per Akklamation gewählt.

Als Beisitzer wurden gewählt:

  Mikko Markkula, Finnland                     39
  Javier Ochoa de Echagüen Estibález, Spanien  37
  Evgeni Eletsky, Rußland                      29
  Márton Krajcsovics, Ungarn                   28

In der konstituierenden Sitzung des Vorstands wurde Mikko Markkula, Finnland, als Stellvertretender Präsident gewählt, Horst Metzing, Deutschland, als Generalsekretär ernannt und Werner Stubenvoll, Österreich, gebeten, den Europapokal weiterzuführen zunächst bis zum Ende der Saison.

Schließlich wurden noch vier europäische Delegierte für das neue Exekutivkomitee der FIDE gewählt:

  Morten Sand, Norwegen,                       31
  Israel Gelfer, Israel,                       30
  Willy Icklicki, Belgien,                     27
  Javier Ochoa de Echagüen Estibález, Spanien  27

In unserer Zone 1.2 wurde mit Goran Antunac, Kroatien, ein neuer Zonenpräsident einstimmig gewählt. Unserer abwesenden langjährigen Zonenpräsidentin Gertrude Wagner, die in Elista Ehrenmitglied er FIDE wurde, wurde als Dank ein kleines Präsent übersandt.

7. Satzungsänderungen

Eine umfassende Satzungsänderung wurde +97 -6 =10 beschlossen. Kernstück ist, daß die Generalversammlung nur noch alle zwei Jahre während der Schacholympiade zusammentritt, in den Zwischenjahren tagt das neue Exekutivkomitee, mit dem das frühere Zentralkomitee und der Exekutivrat abgelöst werden. Die Kontinente erhalten mehr Autonomie und können eigene Vorstände bilden, sie sollen eigene Kontinentalversammlungen vor allem in den Jahren zwischen den Olympiaden durchführen. Daneben wurden zahlreiche Detailverbesserungen eingeführt.

8. Neue deutsche Titelträger


Bremen, 21. Oktober 1998

Egon Ditt
Präsident des Deutschen Schachbundes e.V.

Meißener Str. 18
D-28215 Bremen
Telefon (0421) 3 76 34 75
Telefax (0421) 3 76 34 76
E-mail: EgonDitt@compuserve.com

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© 1.98 by Gerhard Hund Update 25.10.1998