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Die IBCA bei der 42. Schacholympiade

vom 1. bis 14. September 2016 in Baku / Aserbaidschan

Infos, Teilnehmer, Ergebnisse, Berichte 1, 2 und 3

Live-Übertragungen zur 42. Schacholympiade für Open und Frauen
Latest news aus Aserbaidschan sowie Stand (Open/Frauen) auf Chess-Results


Am 25. August 2016 schrieb Oliver Müller (Bremen) an TeleSchach:
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Vorschau Schacholympiade 2016 in Baku
(von FM Oliver Müller, Bremen)

Vom 1. bis 14. September 2016 findet in Baku die 42. FIDE-Schacholympiade statt.

Die Stadt Baku ist die Hauptstadt von Aserbeidschan und liegt am Kaspischen Meer.

Die Mannschaft des Internationalen Blindenschachverbandes, IBCA, wird von folgenden Spielern gebildet:

1. IM Meshkov Yuri A.      Elo 2350, Russland
2. FM Babarykin Stanislav  Elo 2372, Russland
3. IM Stachanczyk Jacek    Elo 2192, Polen
4. FM Mueller Oliver       Elo 2266, Deutschland
5. CM Ross Chris N.        Elo 2199, England

Der Team-Captain ist diesmal IM Nikolaos Kalesis, Elo 2462, Insidern auch einfach als der "Nikos" bekannt, der z.B. in Griechenland gern die Blindenschachturniere für die IBCA organisiert.

Unser Team hat einen Eloschnitt von 2275 Punkten und liegt derzeit - Änderungen und Irrtümer vorbehalten - auf Platz 88 der Setzliste, von insgesamt 181 Mannschaften. Wie viele es nachher tatsächlich sind, wird erst bei der Auslosung zur ersten Runde feststehen, aber erfahrungsgemäß ändert sich diese Zahl nur geringfügig, so dass wir in der ersten Runde wohl auf eine Mannschaft von ganz hinten treffen werden wie z.B. Dschibuti.

Die Setzliste anführen tut wie gewohnt Russland mit Wladimir Kramnik an eins, gefolgt von den USA, wo z.B. Caruana und Nakamura mitspielen. Platz drei hat mittlerweile China eingenommen, gefolgt vom Gastgeberland. Und, ja, der Weltmeister Magnus Carlsen ist auch dabei, jedenfalls steht er bei Norwegen in der Aufstellung, genauso wie sein Herausforderer Sergej Karjakin bei Russland. Die beiden gönnen sich also keine Vorbereitungspause, sondern vertreten ihre Nationen.

Die Deutsche Mannschaft rangiert mit einem Eloschnitt von 2644 auf Platz 12 und besteht diesmal aus den Großmeistern Georg Meier, Rainer Buhmann, Liviu-Dieter Nisipeanu, Matthias Bluebaum und Daniel Fridman.

Unser IBCA-Team will diesmal wieder kräftig zulangen und an den Erfolg von Istanbul 2012 anknüpfen, wo das Team sich um über 30 Plätze verbesserte und den ersten Preis in seiner Ratinggruppe gewann.

Alle Ergebnisse wie immer auf Chessresults.com, allerdings im Moment noch nicht aktuell.

Die Olympiade hat auch eine eigene Homepage:
Webseite des Turniers: www.bakuchessolympiad.com.

Wir erwarten kollektives Daumendrücken!

Am 8. September 2016 schrieb Oliver Müller an TeleSchach:
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Schacholympiade in Baku - Zwischenbericht
(von FM Oliver Müller, Baku)

Liebe Schachfreunde,

fünf Runden sind gespielt, heute war ein Ruhetag und es wird Zeit für einen kleinen Zwischenbericht eures DBSB-Vertreters in der ziemlich internationalen IBCA-Mannschaft.

Die Ergebnisse sind ja alle gut bei ChessResults zu finden, wer aber keine Möglichkeit oder Lust hat, diese aufzurufen, hier der Stand der Dinge:

Das IBCA-Team hat mit 5 von 10 Mannschaftspunkten ein solides Ergebnis im Rahmen der Möglichkeiten erreicht.

In der morgigen 6. Runde spielen wir gegen Thailand, die nominell etwas schwächer sind, und könnten dann punktemäßig etwas davonziehen. Also, liebe Freunde des Blinden- und Sehbehindertenschachs: Bitte im Dauumendrücken nicht nachlassen!

Mit meinem persönlichen Ergebnis von 3 aus 5 kann ich ebenfalls zufrieden sein, vielleicht geht da noch was.

Die Deutsche Mannschaft spielt morgen gegen Russland, also das Traumlos gegen Karjakin, Kramnik & Co. Ja, sowohl die Deutschen als auch die an Nummer 1 gesetzten Russen haben schon mal verloren, und zwar beide gegen die Ukraine, die bisher alles gewann.

Ebenfalls mit weißer Weste treffen morgen Indien und die Niederlande aufeinander, und wer jetzt meint, die Inder seien nur deshalb so stark, weil Vishy Anand mitspielt, der irrt sich, denn der Exweltmeister ist gar nicht dabei!

Und schließlich noch ein Blick auf den aktuellen Weltmeister, der ja nun mal für Norwegen spielen muss. Auch diese Mannschaft hat nur einmal verloren (gegen Australien) und ist noch im Rennen.

Ach ja, es gibt auch eine "Women Section" bei der Olympiade, und da die IBCA diesmal keine Frauenmannschaft (wie klingt das eigentlich?) geschickt hat, kann ich hier nur über das deutsche Team berichten, das an 10 gesetzt war und sich im Moment auf dem 18. Platz befindet .

Die Spielbedingungen sind als gut zu bezeichnen, in der Kristallhalle, die ja eigens für den ESC (Eurovision Song Contest) im Jahre 2012 gebaut wurde, ist genug Platz auch zwischen den Brettreihen.

Interessant ist die neue Regel, dass wegen der Anti-Cheating-Agreements, also der Anti-Betrugs-Vereinbarung, es neben Handys und anderen elektronischen Geräten nunmehr auch verboten ist, Armbanduhren und Kugelschreiber mit in den Turniersaal zu bringen. Selbst Feuerzeuge sind nicht erlaubt, wobei ich noch nicht in Erfahrung bringen konnte, wie man mit einem Feuerzeug seine Spielstärke auf unerlaubte Weise steigern kann. Jedenfalls werden diese im Raucherbereich bereitgestellt. Am ersten Tag hingen dort etwa 20 Einweganzünder an der Wand, am nächsten Tag waren es noch etwa die Hälfte, und am dritten Tag saß ein Mensch von der Security da und hat das Feuerzeug nur auf Anfrage herausgegeben.

Es wird immer seltsamer...

Die Halle selbst verfügt über eine Klimaanlage, die ihre Kraft in den ersten Tagen eindrucksvoll unter Beweis stellte. Mittlerweile geht es aber mit der Temperatur wieder, aber leicht erkältet bin ich trotzdem. Deswegen habe ich auch morgen erstmal frei und kann endlich mal ein paar Partien live mit verfolgen, was für mich ja sonst unmöglich ist.

Zum Schluss noch etwas über den Ort an sich: Unser Hotel liegt direkt am Meer, was echt schön und vor allem ruhig ist. Spaziergänge an der nagelneuen Uferpromenade sind echt ein Traum, und das leichte Erdölaroma gibt's gratis dazu, aber zum Glück nur selten.

Die Stadt selbst ist ein Gemisch aus alt, halb alt und ganz neu, und wenn neu, dann aber richtig. Kreative Architektur wird hier gern gesehen, wie ich heute bei der Stadtrundfahrt feststellen konnte. Deren Teilnahme ich übrigens selbst organisiert habe, da die Organisatoren für den freien Tag nichts zum einfach Buchen angeboten hatten, schade eigentlich.

Weitere Einzelheiten gibt es dann in meinem Abschlussbericht, aber nur, wenn ihr weiterhin so schön mitfiebert und unser Team mit euren besten Wünschen aus der Ferne unterstützt!

Es grüßt euer
Oliver Müller

Am 4. Oktober 2016 schrieb Oliver Müller (Bremen) an TeleSchach:
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Schacholympiade Baku 2016 - Nachlese
(von FM Oliver Müller, Bremen)

Schon zum vierten Mal vertrat Oliver Müller den Weltblindenschachbund, diesmal in Baku.

Vom 02. bis 13. September fand in Baku die 42. Schacholympiade des Weltschachbundes FIDE statt. Stattliche 170 Herren- und 134 Damenteams aus fast ebenso vielen Ländern waren am Start, darunter auch der Weltblindenschachbund IBCA (International Braille Chess Association). Nach Khanti-Mansijsk, Istanbul und Tromsö war ich nun schon zum vierten Mal in Folge für die IBCA nominiert. Mit 6 Punkten aus 9 Partien konnte ich nicht nur die Mannschaft unterstützen, sondern auch eine persönliche Elo-Performance von 2423 und dadurch einen Zugewinn von 35 Punkten erreichen, womit ich sehr zufrieden war.

IBCA verteidigt Setzlistenplatz

Mit einer international gemischten Truppe schaffte es die IBCA, sich vom Startranglistenplatz 90 auf Rang 88 in der Endtabelle ganz leicht zu verbessern, und mit einem etwas besser konzentrierten Reservespieler wäre sicher noch mehr drin gewesen.

Die Einzelergebnisse der IBCA:

1  IM Meshkov, Yuri       RUS   5,5/10
2  FM Babarykin, Stan.    RUS   5,5/11
3  IM Stachanczyk, Jacek  POL   3,0/ 9
4  FM Mueller, Oliver     GER   6,0/ 9
5  CM Ross, Christopher   ENG   0,5/ 5

Die Medaillengewinner:

Nach 11 Runden Schweizer System erreichten die Vierermannschaften folgende Plätze:

Platz Mannschaft    MP  Wertung
 1    USA           20  (413,5)
 2    Ukraine       20  (404,5)
 3    Russland      18
..
37    Deutschland   13
..
88    IBCA          11

(von 170 Teams)

Und bei den Damen sah der Zieleinlauf so aus:

Platz Mannschaft    MP  Wertung
 1    China         20
 2    Polen         17  (427,5)
 3    Ukraine       17  (404,5)
..
31    Deutschland   13
..
(von 134 Team, die IBCA hat diesmal keine Mannschaft zusammenstellen können). Eine vollständige Länderliste mit Tabellenstand findet sich hier: www.chess-results.com.

Anmerkung:
Armenien, der Olympiasieger von 2012, hat nicht mitgespielt und seine Absage schon bei der Festlegung des Austragungsortes in Aserbaidschan angekündigt. Beide Länder befinden sich immer noch miteinander im Krieg.

Spielbedingungen und das Drumherum

Gespielt wurde in der "Crystal Hall", einer Mehrzweckhalle, die im Jahr 2012 eigens für den ESC (Eurovision Song Contest) erbaut wurde. Innen eher funktional gehalten, durften sich die Architekten an der Fassade austoben. Viele Tonnen Stahl und Glas ahmen tatsächlich einen Kristall im Wachstum nach, der im Dunklen von unzähligen LEDs illuminiert wird. Die Halle verfügt über eine Klimaanlage, deren Leistungsfähigkeit der Veranstalter in den ersten Tagen eindrucksvoll unter Beweis stellte. Wollte er, dass wir unsere Mettbrötchen hier deponierten? Der Temperaturunterschied von 30° draußen zu gefühlten 18° drinnen sowie eine leichte Zugluft führten dann wohl dazu, dass ich mich nach fünf Runden erstmal erkältet habe und nach dem Ruhetag noch zwei weitere Tage frei nehmen musste, um mich provisorisch auszukurieren. Klar hatte ich schon zur ersten Runde in weiser Voraussicht warme Kleidung mitgenommen, aber mit sibirischem Klima im Kaukasus hatte ich dann doch nicht gerechnet. Nach ein paar Tagen wurde es aber besser. Der Platz für uns Zweibrettspieler war etwas zu eng bemessen, sodass die Schiedsrichter kurzerhand ihren Tisch opferten, um uns etwas mehr Raum zu gönnen. Überhaupt waren die Schiedsrichter freundlich, kompetent und hilfsbereit, wobei der eine nur Russisch und kaum Englisch sprach, was mich doch etwas verwunderte. Ich hatte mich danach erkundigt, und tatsächlich, man kann internationaler Arbiter werden, auch wenn man fast kein Englisch kann. Bemerkenswert! A propos Sprachen: War das letzte mal noch Spanisch angesagt, durfte ich diesmal die Züge mangels anderer Sprachkenntnisse meiner Gegner auch auf Russisch ansagen - mittlerweile die vierte Sprache, in der ich Züge ansagen kann. (Französisch würde auch noch gehen, aber das war komischerweise noch nie nötig). Wie immer hatte ich auch meine eigene Uhr mitgebracht, die diesmal aber nach kurzer Erklärung sofort akzeptiert wurde. Eine von mir extra für die Olympiade erstellte internationale Bedienungsanleitung fand beim Schiri großen Anklang, denn normalerweise haben nur die Spieler Angst vor Zeitstrafen.

Die Tribünenplätze für das Publikum waren wie schon in den vergangenen zwei Olympiaden eher bescheiden ausgestattet und dementsprechend spärlich besucht. Ich denke, die werden nur noch aus Pflichtgefühl bereitgestellt, weil man ja die Partien sowieso im Internet viel besser verfolgen kann und wohl auch die Spieler dort besser zu sehen sind als auf die Entfernung in der Halle.

Neues gab es bei den Sicherheitsbestimmungen: Neben Handys usw. war es diesmal auch verboten, Armbanduhren und sogar Feuerzeuge mit in den Turniersaal zu nehmen, alles wegen der "Anti-Cheating"-Vereinbarung, wobei mir bis heute nicht klar ist, wie man mit einem Feuerzeug betrügen kann. Wer nun also mal eine rauchen wollte, fand im entsprechend gekennzeichneten Bereich zahlreiche Einwegfeuerzeuge vor, zumindest am ersten Tag. Den kleinen Flammenwerfern muss wohl langweilig geworden sein, denn nach drei Tagen waren alle verschwunden. Aber auch diese groteske Situation hatte sich irgendwann eingependelt, und es hing zumindest ein einsamer Anzünder zur freien Benutzung an der Wand, der auch gut bewacht wurde. Was wohl als nächstes kommt? Gehörgangskontrolle?

Eine Halle mit Begleitprogramm wie Schachkunst, Liveübertragung und Verkaufsständen gab es natürlich auch, besonders hervorzuheben ist der Stand mit den Briefmarken: Hier konnte man sein eigenes Konterfei auf eine gültige aserbaidschanische Briefmarke drucken lassen und mit dieser dann seine Postkarten frankieren! Das stelle man sich mal hier vor.

Außerschachliches

Baku ist die Hauptstadt von Aserbaidschan und liegt am Kaspischen Meer - mehr wusste ich bis dahin nicht. Am freien Tag - diesmal gab es nur einen statt zwei - wurde vom Veranstalter leider kein Ausflug angeboten, so dass ich mich um die obligatorische Stadtrundfahrt selbst kümmern musste. Schachfreund Stachanczyk war ebenfalls interessiert, und so machten wir uns zu zweit auf den Weg, die Haltestelle der Sightseeing-Busse zu finden. Die knapp einstündige Fahrt führte dann an den wichtigsten und wahrscheinlich einzigen Sehenswürdigkeiten Bakus vorbei, von denen die Mehrzahl neueren Datums waren. Aber genau das ist es, was die Stadt auszeichnet: Hier stehen alte Gemäuer mit orientalischen Rundbögen direkt neben spitzen Glaspalästen und Designerbauten mit Rundungen in allen möglichen Formen. Die Stadt hat sich in den letzten Jahren stark herausgeputzt und tut es immer noch. Allein unser Fünf-Sterne-Hotel war erst 2015 fertiggestellt worden und lag am komplett neu gestalteten Ufer, dessen großzügig angelegte Promenade mehrere Kilometer bis zur Crystal Hall am anderen Ende des Stadtzentrums reichte. Interessant war auch, dass man je nach Tageszeit und Windrichtung riechen konnte, woher der Reichtum der Region kommt. Und wenn man vom Ufer ins Kaspische Meer hinunterschaut, kann man es auch sehen; zum Baden ist die Küste Bakus jedenfalls nicht geeignet.

Die Metropole steht noch am Anfang einer Tourismusindustrie, und nicht zuletzt das angenehme Meeresklima könnte dazu verleiten, die Region um das Kaspische Meer noch einmal zu besuchen. Von Frankfurt ist man in knapp fünf Flugstunden dort.

Noch ein Wort zu unserer Mannschaft

Der Kontakt innerhalb der Mannschaft war diesmal wesentlich besser als in den vorherigen Olympiaden, was mir persönlich sehr gut gefallen hat. Jeden Abend trafen wir uns bei unserem Team-Captain, auf altdeutsch Mannschaftsführer, um die Mannschaftsaufstellung für die nächste Runde zu besprechen. Der Team-Captain war diesmal Nikos Kalesis aus Griechenland, den man von diversen ebendort ausgerichteten Blindenschachturnieren her kennt und der seine Sache sehr gut gemacht hat. Außerdem haben wir uns noch manchmal zusammengesetzt, um gemeinsam Partien zu analysieren oder auch mal eine Spaßpartie zu spielen, und auch zum Essen waren wir oft gemeinsam am Tisch.

Auch wenn es noch die ein oder andere Sprachbarriere gab, war diesmal der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft größer als sonst. Ich denke, dass mir genau das an der gesamten Veranstaltung am besten gefallen hat.



© 8.96 by Gerhard Hund / Update 06.10.2016